FAB Dimensional 2023 Projekte

4. FAB Dimensional 2023 – Projekte

4th FAB Dimensional 2023 – Projects


Hold my Gaze

Motomichi Nakamura
2019, 2023 USA | Videoprojektoren, Mediaplayer, Aufprojektionsfolie | www.motomichi.com

Ein leicht unheimliches Gefühl stellt sich beim Betrachten der acht Köpfe ein, die von den Innenfenstern auf den Ausstellungsraum herabsehen. Mit großen Augen und gebleckten Zähnen schauen sie eindringlich in die Welt. Dann erwachen sie plötzlich zum Leben, suchen den Augenkontakt mit den Betrachter*innen. Der Künstler lädt mit “Hold my Gaze” (dt. “Halte meinem Blick stand”) ein, zu erkunden, was es heißt, mit animierten Wesen zu interagieren. Stellt sich ein beklemmendes Gefühl ein, oder ziehen sie uns eher in ihren Bann?

Motomichi Nakamura, geboren in Japan, lebt seit vielen Jahren in New York. Äußerst versatil arbeitet er als Künstler und Animator ausschließlich mit den Farben Schwarz, Weiss und Rot und klarer, grafischer Formensprache. Dabei bedient er sich verschiedenster künstlerischer Mittel. So arbeitet er viel im Außenbereich mit Fassadenprojektionen und Projektionen auf vorgefundene Objekte, seien es urbane Architektur, Kakteen in der Wüste oder ganze Berge in Japan. Sein Musikvideo zu “We share our mother ́s health” (2006, Musik: The Knife) oder sein Film “Okami” (2019) zeugen von hoher künstlerischer Qualität und seinem feinen Gespür für die Wirkung von Farbe und Form. Für FAB Dimensional hat er seine Arbeit “Hold my Gaze” (2019) für die Architektur des Ausstellungsraums modifiziert und adaptiert.

Am Samstag, 30.09. lädt Motomichi Nakamura ab 20 Uhr zu einem Street-Mapping-Spaziergang rund um das silent green Kulturquartier ein (Treffpunkt vor dem Eingang Betonhalle). mehr dazu

A slightly eerie feeling sets in when watching the eight heads looking down on the exhibition space from the interior windows. With wide eyes and bared teeth, they look insistently into the world. Then they suddenly begin to live, seeking eye contact with the viewers. With “Hold my Gaze”, the artist invites us to experience and explore the effect of intense interaction with animated beings. Is there an oppressive feeling, or do they rather cast a spell on us?

Motomichi Nakamura, born in Japan, has lived in New York for many years. As an artist and animator, he works extremely versatil exclusively with the colours black, white and red and a clear, graphic language of forms. In doing so, he uses a wide variety of artistic means. He works a lot outdoors with façade projections and projections on found objects, be it urban architecture, cacti in the desert or entire mountains in Japan. His music video for We share our mother ́s health (2006, music: The Knife) or his film Okami (2019) testify to high artistic quality and his fine sense for the effect of colour and form. For FAB Dimensional, he has modified and adapted his work Hold my Gaze (2019) for the architecture of the exhibition space.

On Saturday, 30.09. Motomichi Nakamura invites you to a street mapping walk around the silent green Kulturquartier from 8 pm (meeting point in front of the Betonhalle entrance)
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SPECIMENS

Simon Pablo Stimberg
2023 Germany | CRT-Monitore, Computer, Sensor | www.simonstimberg.de

In der Natur stellt sich nach einer gewissen Zeit in der Regel ein Gleichgewicht, ein stabiler Zustand ein. Dieser Zustand wird dann nur durch äußere Einflüsse wieder gestört und braucht anschließend Zeit, um sich zu regenerieren. Zu viele äußere Einflüsse führen schließlich zum Kollaps eines eigentlich stabilen Systems. SPECIMENS ist eine interaktive audiovisuelle Installation, in welcher auf vier analogen, gestapelten CRT-Fernsehern jeweils eine Ansammlung abstrakter Organismen in Form bunter, amöbenhaft anmutender Lebewesen zu sehen ist.
Diese Lebewesen kommunizieren durch Bewegungen und die Animation miteinander, synchronisieren ihre Bewegungen und erreichen schließlich einen harmonischen Zustand des Gleichgewichts. Jedes Individuum ist in diesem Zustand an seinem Platz. Erst die aktive Interaktion des Publikums mit den CRT-Fernsehern durch Berührung der Bildschirmoberfläche stimuliert das Verhalten der bunten Lebewesen. Sie reagieren und weichen aus. Die menschlichen Eingriffe stören die fragile Ordnung und führen in letzter Konsequenz schließlich zu dessen Kollaps. Stimbergs Ausgangspunkt für die Arbeit ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem menschlichen Verhältnis zu Technologie und Natur.

Durch die Wiederverwendung veralteter analoger Bildschirme und deren Verbindung mit digitalen Algorithmen zur Schaffung künstlicher Lebensformen verwischt die Installation die Grenzen zwischen dem Organischen und dem Synthetischen. Sie lädt zur Reflektion ein, was Leben ausmacht und stellt die Frage, welche Rolle wir Menschen in der uns umgebenden Welt einnehmen möchten.

Simon Pablo Stimberg lebt und arbeitet in Berlin.

In nature, an equilibrium, a stable state, is usually established after a certain time. This state is then only disturbed again by external influences and subsequently needs time to regenerate. Too many external influences eventually lead to the collapse of an actually stable system. SPECIMENS is an interactive audiovisual installation in which four analogue, stacked CRT televisions each display a collection of abstract organisms in the form of colourful, amoeba-like creatures.
These creatures communicate with each other through movement and the animation, synchronising their movements and eventually reaching a harmonious state of equilibrium. Each individual is in its place in this state. Only the audience’s active interaction with the CRT televisions by touching the screen surface stimulates the behaviour of the colourful creatures. They react and evade. The human interventions disturb the fragile order and ultimately lead to its collapse. Stimberg’s starting point for the work is a critical examination of the human relationship to technology and nature.

By reusing obsolete analogue tv screens and combining them with digital algorithms to create artificial life forms, the installation blurs the boundaries between the organic and the synthetic. It invites reflection on what constitutes life and asks what role we humans want to play in the world around us.

Simon Pablo Stimberg lives and works in Berlin.


Snail Trail

Philipp Artus
2013, 2023 Germany | Laserskulptur, Videoprojektor, Zoetrop | www.philippartus.com

Auf einer hellen, trommelartigen Säule arbeitet sich eine Schnecke unermüdlich vorwärts. Die Animation wird von einem Laser im Inneren rundherum auf die Außenseite gezeichnet. Um den Weg der Schnecke verfolgen zu können, muss man die Trommel langsam umrunden. Die Projektionsfläche an der Aussenwand besteht aus einem phosphoreszierenden Material, auf dessen Oberfläche der Laser eine nachleuchtende Spur erzeugt, die mit der Zeit wieder verblasst. Der Weg der Schnecke ist gleichzeitig auch als sich drehendes Zoetrop und in einer Filmprojektion von Artus´ preisgekröntem Kurzfilm “Snail Trail” nachvollziehbar.

Die Grundidee dieses Dreiklangs ist inspiriert von Prozessen exponentieller Beschleunigung, die auf verschiedenen Ebenen zu beobachten sind. So schritt die Evolution des Lebens mehr als drei Milliarden Jahre lang extrem langsam voran, bis sie im Kambrium plötzlich zu explodieren schien. Die Menschen der Steinzeit nutzten relativ wenig Werkzeuge, bis es im Holozän zu einem rasanten kulturellen Fortschritt kommt. Heute wird ein ähnlicher Beschleunigungsprozess durch den Austausch von Informationen über das Internet ausgelöst. Aus dieser Perspektive mag die Exponentialspirale, die ein Schneckenhaus förmlich darstellt, fast wie ein wunderbares Augenzwinkern der Natur erscheinen. Die stets vorhandenen Spuren der Schnecke bieten eine einzigartige Perspektive auf die Fortbewegung: Durch sie kann das Publikum gleichzeitig in die Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart blicken. Diese Reflexion über die Zeit wird durch die endlose zyklische Struktur des Werks sowie durch die wiederkehrenden Klang- und Lichtimpulse, die sich auf periodische Naturphänomene wie die Gezeiten oder die Jahreszeiten beziehen, weiter vertieft.

Philipp Artus lebt und arbeitet in Berlin.

On a bright, drum-like column, a snail tirelessly works its way forward. The animation is drawn all around the outside by a laser inside. In order to follow the path of the snail, one has to slowly circle the drum. The projection surface on the outside wall consists of a phosphorescent material on which the laser creates a luminescent trace that fades away over time. The snail’s path can also be followed as a rotating zoetrope and in a film projection of Artus´ award-winning short film “Snail Trail”.

The basic idea of this triad is inspired by processes of exponential acceleration that can be observed on various levels. For example, the evolution of life progresses extremely slowly for more than 3 billion years until it suddenly seems to explode in the Cambrian. Stone Age humans use relatively few tools until rapid cultural progress occurs in the Holocene. Today, a similar acceleration process is triggered by the exchange of information via the internet. From this perspective, the exponential spiral that a snail’s shell formally represents may seem almost like a wonderful wink of nature. The ever-present tracks of the snail offer a unique perspective on locomotion: Through them, the audience can look simultaneously into the past, future and present. This reflection on time is further deepened by the endless cyclical structure of the work, as well as by the recurring pulses of sound and light that refer to periodic natural phenomena such as the tides or the seasons.

Philipp Artus lives and works in Berlin.



From The Main Square

Pedro Harres
2022 Germany | VR-Brille, Computer, Videoprojektor | www.pedroharres.net

Um einen zentralen Platz herum entsteht eine neue Stadt in ihrer ganzen Vielfalt. Ein Mix aus Gebäuden, Geschichten, Hoffnungen und Konflikten. In dieser recht monochrom gezeichneten Welt (Illustration: Daniel Eizirik, Animation: Samuel Patthey und Sophia Schönborn) zeigen die Menschen Sympathie und Fürsorge für ihresgleichen, aber auch Feindseligkeit gegenüber denjenigen, die anders sind. Es dauert deshalb nicht lange, bis sich die Stimmung aufheizt und zwei Gruppen entstehen.
“From The Main Square” ist eine interaktive VR-Erfahrung, die dazu einlädt, vom Zentrum des Platzes aus den Aufstieg und Fall einer polarisierten Gesellschaft zu beobachten und zu erleben. Eine Zivilisation blüht dort mit all ihren Widersprüchen auf, um schließlich eine Gefahr für sich selbst zu werden. Die teils absurd-komischen Alltagsszenen und Individuen fügt der Künstler dabei zu einem großen Ganzen zusammen. “From the Main Square” lädt uns ein, diese Welt aus einer eher beobachtenden Position heraus zu entdecken, mit vereinzelten Einladungen zur Interaktion.
Pedro Harres, der aus Brasilien stammt und zum Studium nach Berlin zog, beschreibt die Arbeit als künstlerische Reflektion der Beobachtung seines Heimatlandes aus der Ferne. Er mischt in “From The Main Square” künstlerische Elemente aus Video Game, Animation und sogar Straßentheater zu einer eindrücklichen VR-Erfahrung.

Pedro Harres lebt und arbeitet in Berlin.

Around a central square, a new city emerges in all its diversity. A mixture of buildings, stories, hopes and conflicts. In this rather monochrome world (illustration: Daniel Eizirik, animation: Samuel Patthey and Sophia Schönborn), people cherish sympathy and care for their own kind, but also hostility towards those who are different. It does not take long, therefore, for tempers to flare and two groups to emerge.
“From The Main Square” is an interactive VR experience that invites you to observe and experience the rise and fall of a divided society from the centre of the square. A civilisation blossoms there with all its contradictions, only to eventually become a danger to itself. In the process, the artist assembles the sometimes absurdly funny everyday scenes and individuals into a great whole. “From the Main Square” invites us to discover this world from a more observational position, with occasional invitations to interact.
Pedro Harres, who comes from Brazil and moved to Berlin to study, describes the work as an artistic reflection of observing his home country from afar. In “From The Main Square” he mixes artistic elements from video game, animation and even street theatre into an immersive VR experience.

Pedro Harres lives and works in Berlin.



Berlin 2037

Stiftung Berlin 2037
2023 Germany | VR Brille, Fahrrad, Computer | www.berlin-2037.com

Wie können wir die Umwelt bewahren und unsere Lebensqualität verbessern? Und wie könnte eine Stadt aussehen, die radikal neue Wege geht? Im Jahr 2037 wird Berlin 800 Jahre alt. Was wäre, wenn Berlin sich zu diesem Geburtstag ein ganz neues Gesicht gäbe?
Nahezu überall auf der Welt wird über die Notwendigkeit von Transformationsprozessen als Reaktion auf die Klimakrise gesprochen, von der Dringlichkeit einer Verkehrswende und der “Stadt der Zukunft”. Oft scheitern innovative stadtplanerische Ansätze in Deutschland aber schlicht an Klientelpolitik, bürokratischen Hürden oder dem langen Arm der Autolobby.
Als während der Pandemie-Zeit in Berlin plötzlich sogenannte Pop-Up-Radwege umgesetzt wurden und der erwartete Verkehrskollaps ausblieb, zeigte sich: es geht! Vielleicht wird manche Maßnahme zunächst abgelehnt, nur weil die Vorstellungskraft dafür fehlt?
Die interaktive VR-Installation “Berlin 2037” lädt ein, eine Vision städtebaulicher Transformation buchstäblich einmal selbst zu erfahren. Nach einer kurzen Einführung durch die jugendliche Maya (Schauspielerin Helena Zengel als 3D-Avatar mit Gipsarm) geht es los. Auf dem Fahrrad sitzend, radelt man im eigenen Tempo durch ein animiertes Berlin, wie es in vierzehn Jahren aussehen könnte. Die dort gezeigte Vision einer Stadt ist das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung der Autor*innen mit stadtplanerischen Ansätzen und Möglichkeiten. Auf der Frankfurter Allee ist beispielsweise ein Fahrradhochweg entstanden, wenig Autos sind unterwegs und es gibt viel Raum für Menschen. Die VR-Installation wird begleitet von Infotafeln, auf welchen die Maßnahmen und Ideen einer nachhaltigen Transformation vertieft und weiter ausgeführt werden.

How can we preserve our environment and improve our quality of life? And what might a city look like that breaks radically new ground? In 2037, Berlin will be 800 years old. What would happen if Berlin gave itself a completely new face for this birthday?
Almost everywhere in the world, people are talking about the need for transformation processes as a reaction to the climate crisis, about the urgency of a transport turnaround and the “city of the future”. However, innovative urban planning approaches in Germany often simply fail due to clientelism, bureaucratic hurdles or the long arm of the car industry.
When during the pandemic period in Berlin so-called pop-up cycle paths were suddenly implemented and although expected there has been no traffic collapse it became clear: it works! Perhaps some measures are initially rejected simply because the imagination is lacking?
The interactive VR installation “Berlin 2037” invites visitors to experience a vision of urban transformation for themselves. After a brief introduction by the teenager Maya (actress Helena Zengel as a 3D avatar with a plaster arm), the tour begins. Sitting on a bicycle, you cycle at your own pace through an animated Berlin as it might look in fourteen years. The vision of a city shown there is the result of the authors’ intensive examination of urban planning approaches and possibilities. An elevated cycle path has been created on Frankfurter Allee, there are few cars on the road and plenty of space for people. The VR installation is accompanied by information boards on which the measures and ideas of a sustainable transformation are deepened and further elaborated.



The Hangman at Home

Michelle and Uri Kranot
2020 Denmark, Canada, France | VR-Brille, Computer, Videoprojektor | www.lateloveproduction.com/the-hangman-at-home-vr

Was macht und an was denkt ein Henker, wenn er von seiner Arbeit nach Hause kommt? Die Frage ist der Ausgangspunkt von Carl Sandburgs Gedicht “The Hangman at Home” (1922). Es folgt der Versuch, das Privatleben eines Henkers zu beleuchten, die sich aufdrängende Frage, wie Normalität möglich sein kann angesichts der alltäglichen Präsenz des Todes.

Ausgehend von Sandburgs Werk haben Michelle und Uri Kranot einen multidisziplinären künstlerischen Dreiklang geschaffen. Das Herzstück bildet der 14-minütige Animationsfilm “The Hangman at Home” (DK/FR/CAN, 2020, mehrfach ausgezeichnet). Er zeigt in fünf parallel geschnittenen Szenen, die in fünf Räumen stattfinden, fünf Menschen in intimen Schlüsselmomenten ihres Lebens. Die Menschen werden bei ihren Tätigkeiten zunächst aus einer versteckten, fast voyeuristischen Perspektive betrachtet. Irgendwann im Verlauf des Films blicken die fünf Protagonist*innen jedoch direkt in die Kamera. In diesem Moment der direkten Konfrontation und der Auflösung der Distanz werden wir als Zuschauer*innen plötzlich zu Zeug*innen.

Die Künstler*innen haben – ausgehend von ihrem Kurzfilm – zwei animierte VR-Anwendungen entwickelt. Während die ausgestellte VR-Installation “The Hangman at Home” sich an einzelne User*innen wendet, ermöglicht die Version “We are at Home” eine Interaktion mit anderen User*innen. In der VR-Umgebung betritt man die fünf Räume und kann sich den Protagonist*innen annähern – im wahrsten Sinne des Wortes – und die fünf Szenen auf eine sehr direkte und intime Weise erleben.

Michelle und Uri Kranot leben und arbeiten in Viborg, Dänemark.

What does a hangman do and think about when he comes home from work? The question is the starting point of Carl Sandburg’s poem “The Hangman at Home” (1922). It is followed by an attempt to shed light on the private life of a hangman, the looming question of the possibility of normality in the face of death, which is present every day.

Based on Sandburg’s work, Michelle and Uri Kranot have created a multidisciplinary artistic triad. At its heart is the 14-minute animated film “The Hangman at Home” (DK/FR/CAN, 2020, multiple awards). In five parallel scenes that take place in five rooms, it shows five people in intimate key moments of their lives. The people are initially viewed from a hidden, almost voyeuristic perspective as they go about their activities. At some point in the course of the film, however, the five protagonists look directly into the camera. In this moment of direct confrontation and the dissolution of distance, we as viewers suddenly become witnesses.
The artists have developed two animated VR applications based on their short film. While the exhibited VR installation “The Hangman at Home” addresses individual users, the version “We are at Home” enables interaction with other users. In the VR environment, you enter the five rooms and can get close to the protagonists – literally – and experience the five scenes in a very direct and intimate way.

Michelle and Uri Kranot live and work in Viborg, Denmark.



Chroma Camper

Sabine Burchard
2023 Switzerland | Projektor, Mediaplayer, Print, Lautsprecher | wwwww.sabine-burchard.ch

Im atmosphärischen Dunkel des Waldes erwachen nächtliche Kreaturen. Glühwürmchen leuchten vor der Kulisse eines Zeltes, während ein unruhiger Camper um seinen Schlaf kämpft. Mit einer Taschenlampe in der Hand macht er sich schließlich auf den Weg zum nahe gelegenen Teich, um sich zu erleichtern. Dabei trifft er auf unheimliche Gestalten und glühende Augen, bis er, aufgeschreckt durch das Quaken eines ins Wasser springenden Frosches, in das sichere Zelt zurückkehren will. Mittlerweile kündigt das Zwitschern der Vögel den Anbruch eines neuen Tages an. So setzt sich der Kreislauf erneut in Gang und lädt dazu ein, für einen kurzen Moment die Feinheiten der jetzt in Tageslicht getauchten Illustration zu erkunden.
“Chroma Camper” erkundet das Potenzial der Farbtheorie im Bereich der Videoprojektion. Die Installation verwendet das Verfahren additiver und subtraktiver Farbmischung, um eigentlich statische Illustrationen in Bewegung zu versetzen. Auf diese Weise wird die Farbtheorie zum Werkzeug, die das Erzählen einer linearen Geschichte ermöglicht. Farben erscheinen, verschwinden und verändern sich vor den Augen der Betrachter*innen. Die Illustration erwacht zum Leben, während sie um eine atmosphärische Geräuschkulisse und eine weitere Projektion von animierten Bewegtbildern ergänzt wird. Deren Zusammenspiel lässt dabei die Grenzen zwischen Illustration und projizierter Animation verschwimmen.
(Text: Aline Helmcke)

As night falls in the forest, nocturnal creatures come alive. Fireflies flicker against the backdrop of a tent while a restless camper struggles to find sleep. With a flashlight in hand, he embarks on a journey to the nearby pond to relieve himself. On his way he encounters buzzing mosquitoes, eerie shapes, glowing eyes. It is the sudden quack of a frog leaping into the water which startles the camper and makes him hurry back to the safe refuge of his tent. When the birds’ chirping announces the dawn of a new day, the cycle resets, inviting us to explore the intricacies of the illustration now bathed in daylight for a brief moment.
Chroma Camper explores the potential of color theory in the realm of video projection. The installation uses the process of additive and subtractive color mixing to set actual static illustrations in motion. In this way, color theory becomes a tool that enables the telling of a linear story. Colors appear, disappear and transform before the viewer’s eyes. Thus, the illustration comes to life, being complemented by an atmospheric soundscape and an additional projection layer of animated moving images. The interplay of additive and subtractive color mixing blurs the boundaries between illustration and projected animation.

(Text: Aline Helmcke)



Construct • Seasoning

Ulu Braun
2022 Germany | Projektionsflächen, Videoprojektoren, Mediaplayer, Lautsprecher | www.ulubraun.com

Weite Landschaften, die seltsam beengt wirken. Panoramen, in denen Zivilisation und Natur irreale Räume bilden. Vieles bewegt sich, gleichzeitig tritt alles scheinbar auf der Stelle. Ulu Brauns Arbeiten, die er selbst als Videopaintings bezeichnet, geben einen Einblick in eine von uns in hohem Maße manipulierte und modifizierte Welt.
Construct ist zugleich Innen- wie Außenraum. Die ätzende Farbintensität des Himmels hat nichts von einem romantischen Sonnenuntergang. Sie schreibt sich fort in einer eklektizistischen Hausfassade im Vordergrund. Daneben ein asphaltierter Weg, ein Gullydeckel sowie eine Ansammlung von Autoreifen, die den freien Blick auf ein weitläufiges Kornfeld stören. Seasoning wiederum bricht die Erwartung einer frohen Frühlingsstimmung: Es schneit, die Farben sind überwiegend gedämpft gehalten wie in einem Brueghel-Gemälde. Die im Bild befindlichen Figuren hocken einsam in sich zusammengekauert, während Schneewittchen sich einen Schuss setzt.
Ulu Brauns Bildwelten wirken wie aus vernachlässigten Versatzstücken unserer kollektiven Erinnerung zusammengesetzt. Daher scheinen sie seltsam vertraut: Protagonisten aus Real- und Animationsfilmen greift der Künstler ebenso auf wie Motive, Farbstimmungen und die Pinselführung von Gemälden verschiedenster Epochen. So sehr die Videopaintings als Collage erkennbar bleiben, so sehr wachsen sie zu in sich geschlossenen, faszinierenden wie verstörenden Szenerien zusammen.
(Text: Aline Helmcke)

Vast landscapes, confined in a strange way. Panoramic views where civilization and nature form irreal spaces. The moving elements are caught in a loop, while everything seems to stand still. Ulu Braun describes his works as video paintings. They give an insight into a world that has been heavily manipulated and modified by mankind.
Construct is both an interior and exterior space. With its corrosive color intensity, the sky has nothing of a romantic sunset. It reverberates in an eclectic house facade in the foreground. Next to it starts a path, disrupted by a manhole cover and a collection of car tires that interfere the view onto a sprawling cornfield. Seasoning, in turn, breaks the expectation of a joyful springtime mood: it is snowing, the colors are predominantly muted as in a Brueghel painting. The figures here are disconnected, crouching in themselves, while Snow White takes a shot.
Ulu Braun’s pictorial worlds appear as if they were composed of neglected pieces of our memory. As a result, they seem strangely familiar: the artist picks up on protagonists from live-action and animated films as well as motifs, color moods, and the brushwork of paintings from a wide range of eras. As much as the video paintings remain recognizable as collages, they blend together into fascinating as well as disturbing sceneries.

(Text: Aline Helmcke)



Animated graph for after the flood

Laura Ginès Bataller
2022 Spain | E-Piano, Computer, Videoprojektoren | www.lauragines.com
photo: Cristina Vilaplana

Die audio-visuelle Installation “Animated graph for after the flood” wird erst durch die Betrachter*innen lebendig: sobald die Tasten eines elektrischen Klaviers bespielt werden, entstehen überhaupt erst Klang und Bewegtbild. Rhythmus, Dauer und Abfolge der Musik sowie Animationen innerhalb der Projektion ergeben sich dabei aus der Reihenfolge der aktivierten Tasten. So ist das Seh- und Hörerlebnis jedes Mal ein anderes. Die Installation betont die Auflösung und Verschmelzung der Disziplinen: Hier kann Musik mit Worten oder Zeichnungen geschrieben werden und das visuelle Narrativ aus der Geste des Klavierspielens entstehen.
Die Installation ist die Fortführung eines auf der Idee der Arche Noah aufbauenden Filmprojektes der Künstlerin. Sie basiert auf einer Klaviersuite des Komponisten Xavier Montsalvatge, in der die Musik Geschichten über die Ratlosigkeit und Isolation im urbanen Umfeld einer schwimmenden Stadt evoziert. “Animated graph for after the flood” repositioniert die Erzählung der Arche in der zeitlichen Ebene: Der Regen ist versiegt. Die Welt, wie wir sie kennen, hat sich gewandelt und das überflutete Land ist der Teil der Geschichte, die sich hier ereignet. Es ist eine Geschichte, die die Betrachter*innen erfahren können, als würde sie von ihnen selbst geschrieben werden.
(Text: Aline Helmcke)

Die Installation wurde mit Unterstützung des Kreas-Stipendiums (Girona, Spanien 2021) entwickelt und im April 2022 erstmals im Historischen Museum von Girona präsentiert.
Idee und Umsetzung: Laura Ginés Bataller in Zusammenarbeit mit Pepon Meneses, Anna Carreras und Noemí Batllori

The audio-visual installation Animated graph for after the flood comes to life through the viewer: the formation of sound and moving imagery begins as soon as the keys of an electric piano are being played. Rhythm, duration and the sequence of the music as well as the projection’s animated scenes result from the order of the activated keys. Thus, the viewing as well as the auditive experience differ each time. The installation emphasizes the crossover between disciplines and their dissolution: music can be written with words or drawings, and the visual narrative can emerge from the gesture of the piano player.
Laura Giné’s installation is part of a film project following the idea of Noah’s Ark. It is based on a piano suite by the composer Xavier Montsalvatge, in which the music evokes stories of perplexity and isolation in the urban environment of a floating city. Animated graph for after the flood repositions the narrative of the Ark in the temporal space: the rain has stopped. The world as we know it has changed and the flooded land is now the part of the story that is about to happen. It is a story that we can experience as if it was being written by us.
(Text: Aline Helmcke)

The installation was developed with the support of the Kreas grant (Girona, Spain 2021) and presented for the first time at the Girona History Museum in April 2022.

Idea and realisation: Laura Ginés Bataller in collaboration with Pepon Meneses, Anna Carreras and Noemí Batllori



URSUPPE

Justin Robinson, Sophia Schönborn, Simon Stimberg
2022 Germany | Kurzdistanzprojektoren, Rückprojektionsflächen, Computer, Lautsprecher | www.lauragines.com

Die kollaborative Installation schafft einen Raum, in dem analoges Rohmaterial, durch einen Algorithmus unendlich neu zusammengesetzt, nach einer höheren Ordnung strebt. Die Grundelemente bilden archaische Animationssequenzen, direkt auf Filmmaterial gekratzt, sowie experimentelle Orchesterklänge. Beide sind nach einem vordefinierten modularen Vokabular komponiert, das Punkte, Linien, Partikel und Transienten, Klangfarben und Texturen ergibt. Ein Algorithmus seziert, verzerrt, dehnt, wiederholt, kontrastiert und arrangiert diese Elemente neu – unvorhersehbar und in Echtzeit. Das visuelle Material wird separat auf drei Schichten einer halbtransparenten Leinwand projiziert. Dies enthüllt den Kompositionsprozess und überlässt dem Betrachter die Wahl der Perspektive, während die musikalischen Gegenstücke durch eine Vier-Kanal-Audioanlage verräumlicht werden.

URSUPPE ist eine hybride Installation, die analoge und computergenerierte Elemente miteinander vereint. Sie ist nicht allein in zeitlicher Hinsicht nicht-linear, sondern überführt die Animation durch ihre räumliche Staffelung in einen dreidimensionalen Kontext. Die Besucher*innen können umhergehen und sich die Arbeit autonom erschließen. Auf diese Weise erleben sie eine sich ständig verändernde Installation, die vor ihren Augen zum Leben erwacht. Wenn alle Formen in Auflösung begriffen sind, wer legt dann den Kontext fest? Die Künstler? Die Maschine – oder der Geist des Betrachters?
(Text: Aline Helmcke)

The collaborative installation creates a space in which analog raw material strives for a higher order, infinitely reassembled by an algorithm. The basic elements are formed by experimental orchestral sounds and archaic animation sequences scratched directly onto film footage. They are composed according to a predefined modular vocabulary that yields dots, lines, particles and transients, timbres and textures. The algorithm dissects, distorts, stretches, repeats, contrasts and rearranges these elements – unpredictable and in real time. The visual material is projected separately onto three layers of a semi-transparent screen, revealing the compositional process. The installation leaves the choice of perspective to the viewer, while the musical counterparts are spatialized by a four-channel audio system.

URSUPPE is a hybrid installation that combines analog and computer-driven elements. It is non-linear in temporal terms, but also on a spacial level, as it transfers the animation into a three-dimensional context. Visitors can walk around and explore the work autonomously. In this way, we experience an installation in constant flux that comes to life before our eyes. When all forms are in a state of dissolution, who sets the context? The artists? The machine – or the mind of the viewer?
(Text: Aline Helmcke)



The Linguistic Errantry

Tansy Xiao
2022 USA | Fulldome, Videoprojektor, Computer, Controller, Lautsprecher | www.tansyxiao.com

Die interaktive Anwendung ist stochastische Klangumgebung und soziales Experiment zugleich. Indem sie den Stellenwert des Sprachgebrauchs in einem totalitären System thematisiert, macht Tansy Xiao, in Anlehnung an Victor Klemperers Ausführungen in “Lingua Tertii Imperii”, eine Welt im Ausnahmezustand durch die Subjektive einer Spielfigur erfahrbar. Diese wird in ein opernhaftes, surreales Szenario mit singenden Giraffen und Goldfischen versetzt, in der sich durch algorithmische Zufallsbegegnungen semiotische Leerstellen ergeben. Das Zufallsprinzip wird als passiver Ansatz des Widerstands genutzt, der die Giraffen neben Propaganda-Phrasen aus der Zeit des Lockdowns in Shanghai zuweilen jene Fragmente des Refrains der Internationale anstimmen lässt, die in der offiziellen chinesischen Version des Liedes fehlen.
An dem Punkt, an dem die Goldfische in Haft immer höher springen und nach Wasser schreien, jedoch nicht in der Lage sind, ihre unsichtbaren Käfige zu durchbrechen, trifft man als Spieler*in auf einen Spiegel und erkennt, dass man Unterdrücker*in und Opfer zugleich ist: ein Goldfisch mit einer Überwachungskamera als Kopf.
Mit ihrer Arbeit reininterpretiert die Künstlerin den Turmbau zu Babel und bringt die Willkürlichkeit der Geschichte zum Ausdruck: die Konsolidierung und Auflösung von Machtverhältnissen, eine durch Zufall ausgelöste Revolution oder ein Paralleluniversum, in dem nichts herrscht als reine Entropie.
(Text: Aline Helmcke)

The Linguistic Errantry is a stochastic sound environment and a social experiment in a virtual setting. Following Victor Klemperer’s remarks in Lingua Tertii Imperii, Tansy Xiao addresses the significance of language use in a totalitarian system. The interactive work takes us into a world in a state of emergency through the subjectivity of a game character. It is set in a surreal, operatic scenario with singing giraffes and goldfish, in which semiotic voids arise through coincidental encounters dependent on an algorithm. Randomness is used as a passive approach to resistance. At times it lets the giraffes sing those fragments of the Internationale’s refrain that are missing from the official Chinese version of the song, alongside propaganda phrases from the time of the Shanghai lockdown.
At a certain point, where the goldfish in detention jump higher and higher and cry for water, but are unable to break through their invisible cages, the player encounters a mirror and realizes that she/he is both oppressor and victim: a goldfish with a surveillance camera as its head.
With her work, Tansy Xiao reinterprets the Tower of Babel and expresses the arbitrariness of history: the consolidation and dissolution of power relations, an anticipated revolution to be generated by mere chance or a parallel universe in which nothing rules but pure entropy.

(Text: Aline Helmcke)